Hürden nehmen

Ein Plädoyer für die Hingabe

12.07.2018, schreibe an „Die Fourfold-Saga: Scorched Earth“, Band 3

Gestern haben der Fourfold-Clan und ich eine Hürde genommen. Im Grunde habe nur ich eine Hürde genommen, der Clan wusste wohl schon, worauf alles hinausläuft.

Es geschieht wieder und wieder: Ich schreibe los, in vollstem Vertrauen auf dieses Phänomen, das mir dabei zuteilwird. Ich weiß nie bis ins Detail, wohin mich die Reise führt, plane nichts, lasse es einfach passieren. Von Wort zu Wort, von Satz zu Satz, von Seite zu Seite hangle ich mich voran; vor meinem inneren Auge entstehen die Bilder, ich sehe die Bewegungen, die Gesichtsausdrücke, die Umgebungen, höre das Gesagte, empfinde mit den Protagonisten und bin bemüht, alles möglichst gekonnt und eins zu eins in Wörter und Worte zu übersetzen. Dabei ist mir völlig klar, dass dieser Versuch niemals gelingen kann, dass ich mich mit meinem Text nur annähern kann an das Gesehene, Empfundene. Das Wort als solches verhindert allein schon eine exakte Wiedergabe.
Im aktuellen Manuskript habe ich für diesen Vorgang ein passendes Gleichnis gefunden, zumindest halte ich es für das beste, das mir bisher gelungen ist:

„(…) weil es das ist, was Menschen den lieben langen Tag und Romane mit jedem Wort machen: Sie unternehmen den Versuch, ein Meer in eine Teetasse zu füllen, hören auf, wenn die Tasse voll ist und behaupten dann, sie enthielte nun das ganze Meer.“ (aus „Der Fourfold-Clan: Scorched Earth“, © Melanie Meier)

Nun, auch bei diesem Manuskript lasse ich es mir passieren. Ich glaube, ich weiß inzwischen in sehr, sehr groben Zügen, worauf die Geschichte zusteuert, aber das habe ich bei vorherigen Romanen auch oft geglaubt und wurde anschließend total überrascht. Es kam beispielsweise in den Loki von Schallern-Romanen stets gänzlich anders (und sehr viel besser).

Ähnliches ist mir also gestern widerfahren.

Ich habe eine Schreibphase hinter mir, die arg von Unsicherheit, Unzufriedenheit und Selbstzweifeln geprägt war. Was im Roman passierte, was sich vor meinen Augen auftat, kam mir nicht nur merkwürdig vor, es besaß auch einen üblen Beigeschmack und wollte mir gar nicht gefallen. Es hat mich stellenweise wirklich große Überwindung gekostet weiterzuschreiben und dranzubleiben, mich weiterhin im „Fluss des Romans“ treiben zu lassen, nicht aktiv einzugreifen und den Roten Faden nicht umzulenken, mich nicht diesen Zweifeln zu beugen. Ich kenne diese Phasen inzwischen und weiß, dass sich alles auflösen wird, wenn ich nur dabei bleibe; wahrscheinlich war es allein diese Erfahrung, die mich durchhalten ließ.

Tja, so war es auch diesmal. Gestern kam es zu einer „Clan-Sitzung“ der vier Brüder, während der mir der Captn, die Infanterie und der Gelehrte (die Protagonisten des Romans) alles zu diesem bestimmten Thema erklärt haben (ich werde nicht spoilern ^^). Worüber ich mir zuvor den Kopf zerbrach, wonach ich so lange recherchierte und zwar einige Informationen fand, aber dennoch nicht weiterkam, erhielt in diesem Gesagten endlich Bedeutung und Sinn. Alles, was zuvor im Manuskript geschah und was ich mir nicht erklären konnte, glänzt nun im Licht der Erkenntnis.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: All das läuft durch meinen Filter. Was ihr zu lesen bekommen werdet, ist von mir eingefärbt. Es sind Bilder, die ich produziere und es sind meine Worte, nicht die irgendwelcher mysteriöser Gestalten. Ich channle nicht, wie man das in der Esoterik macht und was einige wohl glauben, weshalb ich es nun auch anspreche. Ich habe recherchiert, ich habe mich zwangsläufig mit den Themen auseinandergesetzt, und alles, was anschließend zu Papier kommt, stammt von mir. Dennoch hat es etwas Magisches, aber das ist eine sehr rationale, bodenständige Magie. Es ist Kreativität, menschliches Schöpfertum, und wenn das nicht ausreichend Magie ist, dann weiß ich auch nicht weiter!

Vielmehr setzen sich die Puzzleteile, die sich mir im gesellschaftlichen Leben, in unserer westlichen Kultur, durch die Medien und im Alltag präsentieren, innerhalb des Schreibprozesses allmählich zu einem Gesamtbild zusammen, das ich im „normalen Modus“ niemals überblicken könnte. Der Verstand allein kann dieses Gesamtbild nicht zu fassen bekommen, er ist zu begrenzt, zumal das gar nicht seine Aufgabe ist. Dafür braucht es offenbar mehr, dafür braucht es Vertrauen und Hingabe an alle Facetten, die uns Menschen ausmachen. Innerhalb eines solchen Prozesses wird alles beansprucht, was wir sind, sonst wird das Resultat in irgendeiner Hinsicht ein blasses, ein lebloses, ein seelenloses, eine Halbwahrheit.

Deshalb, so scheint mir, bin ich selbst immer wieder so überrascht über das, was sich mir offenbart. Der Verstand ist überrascht, er konnte es zuvor nicht sehen, nicht wahrnehmen. Plötzlich aber fließt durch ihn das Gesamtbild, es nimmt durch ihn Form an, er ist es, der „das Meer in eine Tasse füllt“, die richtigen Worte und Wörter findet, das Handwerk des Schreibens beherrscht und es greifbar macht. Erst in diesem Moment kann auch er die Zusammenhänge erkennen, und selbstverständlich ist er dann überrascht, immerhin ist er die letzte Instanz, durch die alles fließt.

Niemals stand diese Tatsache so deutlich vor mir wie jetzt, niemals war mir das so klar wie dank der Fourfold-Saga, die mich wirklich gefordert und gefördert hat. Ich durfte in Tiefen eintauchen, vor denen ich mich unbewusst ängstigte und die nun alles andere als furchtbar erscheinen, nun, da ich sie durchwandert und erschlossen habe. (Ich denke nun auch an Band 2 und an den „Höllentrip“, auf den sich der Captn und die Infanterie machen mussten; als ich damals gewahrte, wohin die Reise geht, konnte ich ein halbes Jahr lang nicht weiterschreiben, ehe ich es akzeptieren und damit umgehen konnte.)

Es lohnt sich, sich hinzugeben, auch wenn einem zunächst nicht gefällt, was geschieht.

Ich hoffe sehr, dem Leser geht es ähnlich und er sieht und erfährt auf seine Weise, was ich gesehen und erfahren habe.

Eure Melanie Meier