Content schaffen?

Warum ich mich zurückhalte

08.08.2018

Jeder, der eine Fanpage besitzt oder auf irgendeine Weise Social-Media-Marketing macht, kennt den Begriff „Content schaffen“. Damit ist das Erzeugen von Inhalten gemeint, die möglichst den Kunden binden sollen, also Beiträge wie diese. Man ist dazu angehalten, möglichst viel Relevantes zu verbreiten, damit für jeden etwas dabei ist. So ungefähr.

Auch ich habe mich selbstverständlich damit beschäftigt und mich gefragt, wie ich das denn hinbekommen könnte. Am Ende aber gab ich die Recherchen und meine Versuche auf, und das aus verschiedenen Gründen, die ich nachfolgend aufzählen will. Vielleicht wundert sich der eine oder andere anschließend nicht mehr, weshalb von mir oft tagelang nichts kommt, ehe einige Posts hintereinander auf seiner Timeline erscheinen. Nun denn:

 

„Gibst du ein Stück, so gib es gleich in Stücken …“*
(frei nach Goethe: Faust: Eine Tragödie*)

 

Wie ihr wisst, stammt das genannte Zitat aus dem „Vorspiel auf dem Theater“, in dem die ewige Auseinandersetzung zwischen Künstler und Geschäftsmann dargestellt wird. Dem Künstler ist gleichgültig, wie das Publikum über sein Werk denkt. Seine Aufmerksamkeit liegt einzig darauf, ein Meisterwerk zu erschaffen, während der Geschäftsmann nichts anderes im Kopf hat als Zahlen. Er will verkaufen, für ihn zählt das eingenommene Geld, nichts sonst. Der eine findet sein Glück im Geschäftemachen, der andere im künstlerischen Prozess, um diesem grandiosen Vorspiel eine lapidare, frevelhafte Zusammenfassung zu geben.

Ich arbeite als Textakrobat.in, ich habe täglich mit Werbung zu tun. Es ist also nicht so, dass ich mich gar nicht auskennen würde. Nein. Es ist vielmehr so, dass ich mich auskenne und deshalb nicht viel davon halte. Lasst mich euch ein Beispiel geben, um diese Tatsache zu veranschaulichen:

Man kann seine Facebook-Fanpage mit der Webseite verbinden und erlaubt Facebook auf diese Weise, Daten von der Webseite abzugreifen und anschließend gezielt Werbung zu schalten. „Facebook-Pixel“ nennt sich dieses Verfahren. Dazu gehört das sog. „Custom Audiences“, das noch eine Schippe drauflegt. Dabei lade ich als Webseiten-Betreiber die gesammelten Daten meiner Kunden in Facebook hoch, z. B. die meiner Newsletter-Abonnenten. Einmal angenommen, Du warst auf meiner Webseite und hast Dir einen meiner Romane angesehen, speichert Facebook das und wird Dir anschließend Werbung zu diesem Produkt um die Ohren hauen, bis Du das elende Ding endlich gekauft hast. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn was Konzerne wie dieser mit unseren Daten anstellen, wissen oder ahnen wir nicht erst seit Snowden (man beachte den jüngsten Facebook-„Skandal“; cui bono?).

Wer beispielsweise „Google Analytics“ verwendet, um die Kunden-Aktivitäten auf seiner Webseite nachzuverfolgen, hat zumindest schon den Hauch einer Ahnung, was da im Hintergrund passiert. Noch vor ca. 15 Jahren bot dieses Tool die Möglichkeit, u. a. nicht nur den Standort, die IP-Adresse und die Dauer des Besuchs eines Kunden einzusehen, sondern es sagte einem beispielsweise auch, welchen Browser derjenige verwendete und wie groß sein Bildschirm war. Diese Daten sind heute offenbar nicht mehr für den Otto Normalverbraucher einsehbar (hat man mir zumindest gesagt), aber gebt euch bitte nicht der Annahme hin, sie würden deshalb nicht dennoch abgegriffen und gespeichert. Das Gegenteil drängt sich vielmehr auf, immerhin schreitet die Softwaretechnologie mit der Zeit voran und reift weiter aus.

Ich stand also vor der Entscheidung, die Social-Media-Dienste auf meine Webseite aktiv einzubinden und auf diese Weise aus jedem Cent, den ich in Werbung stecke, so viel wie möglich herauszuholen, oder es sein zu lassen und nicht effektiv werben zu können. Dabei geht natürlich Kohle flöten, eben weil nicht systematisch geworben und zu einem Gutteil nicht die Zielgruppe erreicht werden kann. Ich entschied mich dagegen, habe weder Facebook-Pixel installiert noch Kundendaten in Facebook oder auf anderen Plattformen eingespeist, weil …

 

„Ich will nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich mache und sage, aufgenommen wird.“**
(E. Snowden**)

 

Ihr wisst, ich schreibe Mystery-Thriller und -Krimis, die sehr nah an unserer Welt liegen. Das mache ich deshalb, weil ich auf gewisse Umstände hinweisen will, und wer die Loki von Schallern-Trilogie und die Serie gelesen hat, kennt einen dieser Umstände. Es geht um Big Data und die inzwischen unzähligen Skandale. Es geht darum, in welchem Umfang und Ausmaß wir bereits abgehört werden. In meinen Romanen klingt das an der einen oder anderen Stelle nur an, meistens dann, wenn Loki von Schallern zu seinen BKA- und BND-Technologien greift und selbst ausspioniert, hauptsächlich seinen Cousin Tim Jung, aber eben auch völlig fremde Menschen.

Mir drängt sich zunehmend der Verdacht auf, dass der Otto Normalverbraucher trotz Wikileaks und Snowden, trotz der vielen Whistleblower noch immer nicht begriffen hat, in welcher Welt wir leben. 1984 war gestern. Die DDR-Abhörmethoden sind um Äonen überschritten, verfeinert und auf den Globus ausgedehnt. Der Kalte Krieg findet heute u. a. im Internet statt, er ist zu einem Cyber-Krieg geworden, der längst tobt.

Klinge ich nun wie ein Verschwörungstheoretiker? Sei’s drum. (Dieses Wort hat seine wahre Bedeutung ohnehin längst verloren.) Ich stelle für meine Romane Recherchen an, opfere dafür meine Freizeit, und wenn ich auch nicht alles glaube, was mir unterkommt, reicht das wenige Glaubhafte doch, um Schweißausbrüche zu bekommen. Außerdem habe ich das Privileg, einige Informatiker in meinem Bekanntenkreis zu haben, die ich jederzeit löchern kann. Dieselben können offengelegtes Whistleblower-Material auch sehr viel umfassender auswerten, begreifen die Inhalte und deren Ausmaße besser als Laien. Die Katze ist jedenfalls aus dem Sack. Wir haben nun die Informationen, was wirklich mit unseren Daten angestellt wird (was angestellt wurde, immerhin sind seit dem letzten Leak schon wieder einige Jahre vergangen), wir wissen, was sowohl die Geheimdienste als auch die Wirtschaft mit unseren Daten macht.

Wer glaubt, die neueste Entwicklung in Sachen Datenschutz, die DSGVO, diene tatsächlich dem Schutz unserer Daten, braucht sich nur eine Frage zu stellen: Wer hat am meisten mit der Umsetzung derselben zu kämpfen, wessen Betätigungsfeld wird am meisten eingeschränkt? (Wieder: Cui bono?)

Man hat heute kaum noch eine Chance, der Überwachung zu entgehen, es sei denn, man schneidet sich von jedem Fortschritt ab, doch das ist für mich auch keine Option. Ich besitze zwar kein Smartphone mehr und meide die meisten Online-Dienste wie PayPal, WhatsApp etc, mache mir aber keine Illusionen. Ich liebe das Web, es ist ein unsäglicher Fortschritt in Sachen Recherche, Kontaktherstellung und Verbreitung, doch ich bin mir jederzeit im Klaren, dass jede meiner Bewegungen gespeichert wird, dass jede Mausbewegung, jede Sekunde, in der ich mir eine Seite ansehe, jeder Klick aufgezeichnet wird.

Ich bewege mich im Internet in etwa so, wie ich mich in einer Menschenmenge bewege: Hunderte von Augenpaaren könnten auf mich gerichtet sein, und womöglich ist darunter der eine oder andere, der aus meiner Mimik, meinen Gesten und meinen Worten weit mehr herauslesen kann als mein unbedarfter Nachbar. Wenn mir anschließend jemand genau das Getränk vor die Nase hält, das ich an den Essensständen gesucht habe, ohne dessen Namen ausgesprochen zu haben, wundert mich das nicht. Viel wahrscheinlicher aber ist, dass ich überhaupt nicht an den Essensständen war, denn …

 

„Wie vieles gibt es doch, was ich nicht nötig habe.“***
(Sokrates***)

 

Ich bin alles andere als ein guter Konsument, zumindest im landläufigen Sinne. Ich konsumiere sehr viele Informationen (die ich oft gleich wieder vergesse), bin ein Serien-Junkie und eine glückselige Raucherin mit gut belüfteter Lunge, ansonsten aber halte ich bewusst Maß. In Kleidergeschäften oder Einkaufszentren findet man mich vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr. Mein Adblocker verrichtet gute Arbeit, zeigt mir kaum Werbung, und Newsletter abonniere ich nur, wenn sie einen informativen Wert haben. Ich erarbeite mir so viel Geld, wie ich brauche, um ein Dach über dem Kopf, etwas Gutes zu essen, etwas Hochwertiges zum Anziehen, das ein paar Jahre hält, und ein warmes Bett im Winter zu haben, ansonsten interessiert mich Geld und alles Drumherum nicht. Geld und das, was man davon erstehen kann, kann mir keine Sicherheit geben, weil Geld selbst in höchstem Maße unsicher ist. Das Leben ist insgesamt eine unsichere (und damit so abenteuerliche!) Sache; ich könnte schon morgen tot sein, warum also Lebenszeit vergeuden?

Wie könnte jemand mit so einer Einstellung „Content schaffen“?!  Ich kaufe selbst kaum etwas, warum also andere mit einer solchen Werbemaßnahme manipulieren und zu dem bringen, was ich nicht tue? Und lasst euch da bitte nicht täuschen: Werbung basiert auf Manipulation. Sie schafft Bedürfnisse, wo zuvor keine waren.

Was ich also auf Facebook poste, sind vorrangig Neuigkeiten. Das handhabe ich auf meiner Fanpage genauso wie in meinem privaten Account. Hin und wieder schalte ich Werbung für meine Romane, damit sie Verbreitung finden, dafür benutze ich auch alle mir bekannten Tricks, aber ich gebe keine Kundendaten hinaus, lade Konzerne nicht aktiv auf meine Webseite ein oder stampfe irgendwas aus dem Boden, was „Content schaffen“ für mich bedeuten würde. Wenn ich etwas hinausgebe, dann weil ich es für erzählenswert halte. Das Meiste halte ich für unwichtig, zumindest sollte es Dritte nicht interessieren, darum bleibt es meine Privatangelegenheit. So einfach ist das.

Nun wisst ihr Bescheid, nun wisst ihr, woran ihr bei mir seid.

Eure Melanie Meier

Ps: Das ist kein Angriff gegen all jene, die die genannten Werbemaßnahmen umsetzen! Ich lege mit diesem Beitrag nur dar, wie ich es handhabe und wie ich darüber denke. Ein Urteil über andere maße ich mir nicht an.

Hinweis: Zur weiteren Klärung und Einsichtnahme einiger genannter Informationen habe ich diese mit Wikipedia verlinkt. Ich weise aber darauf hin, dass Wikipedia einigen unabhängigen Nachforschungen zufolge alles andere als ein neutrales Lexikon darstellen könnte. Wer sich dafür interessiert, kann gern recherchieren. – Generell gilt für mich: Lieber selbst recherchieren und herausfinden, dass kaum Wissen geschaffen werden kann, als blind irgendwelchen Informationen zu vertrauen.

Quellen:
* Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Erster Teil. Hamburger Lesehefte Verlag, Seite 7.
** Edward Snowden, My Zitate, https://myzitate.de/edward-snowden/
*** Sokrates, Gute Zitate, https://gutezitate.com/zitat/266567